Mit Sicherheit kennst du das: Du sitzt mit deinen Freunden zusammen und ihr erzählt euch von den Schwierigkeiten des Alltags. Der erste Impuls ist meist derselbe – es werden Lösungsvorschläge entwickelt, die das Problem schnellstmöglich aus der Welt schaffen sollen. Gute Freunde versuchen eben zu helfen.
Das ist auch der Ursprung vieler Ideen von Gründer*innen. Sie sehen ein Problem und gehen davon aus, dass ihre Gründungsidee die Lösung ist. Oft verlieren sie sich in ihrer Idee – sind geradezu blind vor Liebe. Dabei entzieht sich ihnen oft das Wesentliche: Ihre eigentliche Aufmerksamkeit sollte nicht den Lösungsmöglichkeiten zukommen, sondern dem Problem. Die Kraft, die in die (vermeintlich richtige) Lösung gesteckt wird, sollte viel eher in das Problem investiert werden. Auf diesem Wege wird Verständnis dafür geschaffen, wie die optimale Lösung für zukünftige Kund*innen auszusehen hat. Denn was bringt ein fertiges Produkt oder eine fertige Dienstleistung, wenn niemand daran interessiert ist?
Genau hier setzt der Design-Thinking-Prozess an, dessen Grundgedanke es ist, Problemlösungen auf eine kreative Art und Weise zu entwickeln. In diesem Beitrag erfährst du alles, was du wissen musst, um deinen eigenen Design-Thinking-Prozess umzusetzen und damit eine Idee zu entwickeln, die auf echte Nachfrage stößt.
Was ist Design Thinking?
Die Methode stammt ursprünglich aus den USA. Das Professoren-Team um Terry Winograd, Larry Leifer und David Kelley von der Stanford University in Kalifornien machte den Ansatz populär, indem sie die aus der Bauhaus-Bewegung der 1920er-Jahre stammende Arbeitsweise aufgriffen und weiterentwickelten, um interdisziplinäre Prozesse zu fördern. Während der Begriff „Design“ sich im Deutschen meist nur auf das Aussehen von etwas bezieht, meint es im Englischen ebenso die „Funktion“ und „Wirkung“. Die Idee dahinter: Kreativität könne designt, also durch eine systematische Herangehensweise ermöglicht werden.
Heute ist Design Thinking eine von vielen anerkannten und häufig verwendeten agilen Arbeitsmethoden, die nicht nur von jungen, sondern auch von etablierten Unternehmen genutzt werden. Ziel ist es, innovative Produkte oder Dienstleistungen anzubieten, die den Nerv der Nutzer treffen. Dabei geht es nicht zuerst um die technische Machbarkeit oder Wirtschaftlichkeit einer Lösung. Vielmehr wird durch die Brille der zukünftigen Nutzer*innen geschaut, um ein Gefühl für deren Wünsche und Bedürfnisse zu bekommen.
Wenn du bei deiner Gründung auf Design Thinking setzen willst, stellst du dir also Fragen, wie: Was brauchen zukünftige Nutzer*innen? Wie kann ihnen geholfen werden? Und in welcher Form kann meine Lösung dazu beitragen? Dabei gehen du und dein Team iterativ vor. Dieses Vorgehen kennst du vielleicht vom Lean Startup. Das heißt, dass bestimmte Prozesse oder auch Entwicklungszyklen mit ähnlichen oder gleichen Handlungen ständig wiederholt werden. So kann man sich dem Erreichen einer Lösung Schritt für Schritt nähern.
Erfolgsfaktoren: Worauf darf nicht verzichtet werden
Beim Design Thinking stehen drei Aspekte im Vordergrund: ein interdisziplinäres Team mit einem 360-Grad-Blick, ein variabler Raum und der Design-Thinking-Prozess, der das Scheitern erlaubt.
Interdisziplinäres Team
Das Team, das am Prozess beteiligt ist, sollte möglichst unterschiedliche Expertisen zusammenbringen und aus mindestens fünf bis sechs Personen bestehen. Verschiedene fachliche Hintergründe (und eventuell unterschiedliche Hierarchieebenen) beflügeln den Prozess. Die Multidisziplinarität des Teams sorgt dafür, dass ein Thema oder eine Fragestellung von verschiedenen Seiten betrachtet wird. So entsteht eine 360-Grad-Perspektive, die es ermöglicht, kreative Lösungen zu finden.
Variabler Raum
Wer sich in seiner Arbeitsumgebung unwohl fühlt, kann nicht gut arbeiten, erst recht nicht kreativ. Dies ist aber eine Grundvoraussetzung für das Design Thinking. Daher sollte der Prozess in einem Raum stattfinden, der sich verändern lässt und somit neue Denkanstöße geben kann – er ist als Art Innovationsinstrument zu verstehen. Dazu taugen nahezu alle Räume, die Platz bieten. Die Variabilität allein greift jedoch zu kurz: Der Raum sollte auch Struktur geben. Er sollte Möglichkeiten bieten, die es erlauben, Zwischenergebnisse festzuhalten. Das können zum Beispiel große Wand- und Tischflächen, Whiteboards oder auch Fenster sein. Der Raum sollte zum freien Denken einladen, aber eine Struktur der Interaktion genauso wie ein*e Gesprächsführer*in sollte es trotzdem geben.
Kleiner Tipp: Wenn ihr im Team Zwischenergebnisse festhalten wollt, solltet ihr ganze Sätze formulieren oder auf Karten ca. fünf Wörter schreiben. Bei ein oder zwei Wörtern weiß am Ende niemand mehr, was gemeint war.
Im Zentrum vom Design Thinking steht jedoch der Prozess. Dieser wird im Folgenden näher beschrieben.
Design Thinking Prozess - Schritt für Schritt zur Lösung
Der Prozess ist das Herzstück der Methode. Er gibt dem Design Thinking eine klare Struktur und sorgt dafür, dass der Fokus nicht verloren geht. Wie bereits beschrieben, wird der Prozess iterativ durchlaufen.
1. Empathize (einfühlen - verstehen - beobachten):
Der erste Schritt des Design Thinkings besteht darin, sich intensiv mit der Zielgruppe deines Angebots auseinanderzusetzen. Interviews oder auch Fokusgruppen, in denen mehrere potenzielle Kund*innen zu einem Gespräch zusammenkommen, können in diesem Schritt starke Instrumente sein. Es soll (im Team) ein einheitliches Verständnis darüber entstehen, was die Zielgruppe wirklich will und braucht. Dafür muss man sich in sein Gegenüber hineinversetzen. Nur so können die Anforderungen an mögliche Lösungen nachvollziehbar werden.
Ein Beispiel: Du möchtest ein Angebot für ältere Menschen entwickeln, das ihnen den Alltag erleichtert. Zunächst sprichst du also mit deiner Zielgruppe, fühlst dich in sie hinein und versuchst, dich für die Probleme älterer Menschen zu sensibilisieren. Lass dir Alltagssituationen schildern, in denen sie Hilfe brauchen oder Schwierigkeiten haben. Und sprich nicht nur mit einer Person, sondern mit mehreren, die ähnliche Probleme haben. Es geht hierbei ausschließlich um das Verstehen und nicht darum, verfrühte Urteile zu fällen.
2. Define (definieren):
Im zweiten Schritt soll das zu lösende Problem klar definiert werden. Dafür wertest du die Erkenntnisse aus der ersten Phase aus und versuchst, diese zu systematisieren. Es geht darum, Klarheit zu erlangen und einen Fokus zu schaffen, der die Grundlage für den nächsten Schritt darstellt. Du sollst eine Vorstellung vom Lösungsraum und deiner idealen Zielgruppe bekommen.
Ein Beispiel: Während der Gespräche mit deiner älteren Zielgruppe ist dir aufgefallen, dass es einen Punkt gibt, bei dem sich viele Probleme überschneiden: Deine Zielgruppe ist ungern allein und möchte den Kontakt zur Außenwelt aufrechterhalten. Hier liegt das eigentliche Problem, das es zu lösen gilt.
3. Ideate (Ideen entwickeln):
Auf Grundlage deiner Problemdefinition entwickeln du und dein Team im dritten Schritt Ideen. Dabei gibt es kein Richtig und kein Falsch. Anders gesagt: Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt! Alle Ideen (auch die weniger realistischen) können Grundlage für neue Ansätze sein, wie das Problem gelöst werden kann. Nachdem ihr genug Ideen gesammelt habt, versucht ihr, diese einzeln zu bewerten und zu priorisieren. Hier solltet ihr Faktoren heranziehen wie Machbarkeit, Wirtschaftlichkeit und Erwünschtheit seitens der Zielgruppe. Die besten Überlegungen sollten, der Priorisierung nach, den zukünftigen Nutzer*innen gezeigt werden, um wertvolles Feedback zu sammeln. Die Ansätze, die dabei am besten abschneiden, kommen in die nächste Phase.
Ein Beispiel: Um das Problem des Alleinseins für ältere Menschen in den Griff zu bekommen, habt ihr virtuelle und einfach bedienbare Meetingräume entworfen. Auch neue Möglichkeiten der Fortbewegung sind im Rennen, um ältere Menschen besser miteinander zu vernetzen.
4. Prototype (Entwicklung von Prototypen)
Im vierten Schritt entwickelst du einen Prototyp oder ein sogenanntes MVP (Minimum Viable Product ). Damit ist eine erste funktionsfähige Version deines Produkts oder deiner Dienstleistung gemeint, die nur über die notwendigsten Funktionen verfügt. Mache dir klar, dass es nicht die perfekte Lösung für das Problem sein muss, die am Ende auch verkauft wird. Daher solltest du nicht zu viel Zeit, Geld und Energie in die Entwicklung fließen lassen. Es soll lediglich so ausgearbeitet sein, dass du dir erneut Feedback von deiner Zielgruppe holen kannst.
5. Test (Lösung testen)
Du und dein Team seid beim letzten Schritt angelangt. Ihr fangt jetzt an, eure Lösung an der Zielgruppe zu testen. Auch hier ist wichtig, sich bewusst zu machen: Deine Zielgruppe muss nicht hellauf begeistert sein. Viel wichtiger ist das wertvolle Feedback, das du nutzen kannst, um deine Lösung zu optimieren. Ungefähr fünf Testkund*innen sollten zunächst ausreichen, um Feedback zu bekommen, das dich weiterbringt.
Anwendungsbeispiel: Ein bekanntes Training der Design-Thinking-Methode bittet zwei bis drei Teilnehmende pro Gruppe, sich des Themas “Portemonnaie” anzunehmen. Wieso? Jede*r hat dazu Erfahrungen und gleichzeitig sehr unterschiedliche Wünsche und Anforderungen. Die einen haben zehn Zahlungskarten und eher wenig Bargeld dabei. Die anderen wünschen sich viel Platz für Fotos von ihren Liebsten. Mit dieser Übung lässt sich die Methode in unter 60 Minuten durchlaufen – und mit den üblichen Utensilien eines Kinderzimmers kann ein Prototyp gebastelt werden. Alle Teilnehmenden präsentieren anschließend ihre selbstgebastelte Traum-Geldbörse und erklären den anderen, warum ausgerechnet diese ihre Wünsche und Bedürfnisse perfekt erfüllt. Das bringt Spaß!
Finde deinen neuen Startpunkt
Sobald du deinen Prototyp ausreichend getestet hast, ist der Design-Thinking-Prozess einmal durchlaufen. Es ist jetzt dir und deinem Team überlassen, ob die Probleme deiner Zielgruppe noch mal neu gefasst oder neue Ideen gesammelt werden müssen, auf deren Basis Prototypen entstehen. Von hier aus kannst du an jeden Punkt des Prozesses springen.
Vorsicht: Solltest du nach dem letzten Schritt wieder an einen früheren Punkt im Prozess springen, besteht die Gefahr, dass du dich an einer Lösung festbeißt und dich darin verlierst. Nutze das Feedback und spitze zu, was genau du verbessern musst. Sei selbstkritisch und mutig genug, auch Dinge in Frage zu stellen, die viel Mühe bereitet haben. Du willst eine Lösung für ein Problem entwickeln und dich nicht in deiner Idee verlieren!
Kritik an Design Thinking
In jüngster Vergangenheit gibt es auch immer wieder Kritik am Design-Thinking-Prozess. Diese solltest du kennen, um reflektieren zu können, ob sich die Methode für dich lohnt.
Design Thinking braucht eine Unternehmenskultur bzw. ein Mindset, das die passende Voraussetzung liefert. Anwender*innen sollten Experimentierfreudigkeit, genügend Empathie sowie Selbstorganisation mitbringen. Zusammengewürfelte Fachleute, die die Methode nutzen, sind nicht zwangsläufig das Erfolgsrezept. Außerdem muss auf die Methode ein Entwicklungsprozess folgen – der bleibt jedoch bei vielen Unternehmen aus.
Kreative Ideen entstehen häufig intuitiv, zum Beispiel unter der Dusche oder beim Spazierengehen, eben dann, wenn man seine Gedanken schweifen lässt. Das Design Thinking wiederum hat einen klaren Prozessablauf, der von kritischen Stimmen eher als Korsett empfunden wird. Der Prozess sei zu linear, um innovativ zu arbeiten, und Kreativität könne eben nicht erzwungen werden.
Schwerer wiegt allerdings das Problem der praktischen Umsetzung der Methode in einem Großunternehmen. Denn hier geht es darum, die richtigen Stakeholder im Boot zu haben, die Entwicklungsabteilung nicht zu brüskieren, Marktforschungsdaten zur Unterstützung einzuholen und das Machtspiel zwischen Abteilungen gut zu spielen. Hier sollte man nicht allzu naiv sein, um mit der tollen Idee und dem Enthusiasmus der Design-Thinking-Methode keine Bruchlandung hinzulegen. Die motivierende Rede der Vorstandsvorsitzenden über eigenständiges unternehmerisches Denken und mehr Lösungskreativität ist häufig nur lose mit der Wirklichkeit gekoppelt und ein Grund dafür, dass die Disziplin Intrapreneurship entstand.
Das ist auch der Grund, wieso Design Thinking in Startups bessere oder sichtbarere Erfolge bringt als in Großunternehmen. Hier sind die Wege kürzer und weniger formalisiert. Dies ist deine Chance. Aber auch hier fängt nach dem Design Thinking die eigentliche Arbeit erst an, denn die neuen Produktideen müssen zu einer Geschäftsidee und einem ausgereiften Geschäftsmodell weiterentwickelt werden. Zum Glück hält die Gründerplattform dafür verschiedene praktische Tools parat.
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Fazit – Design Thinking immer sinnvoll?
Doch was bedeutet diese Kritik nun für dich? Design Thinking auf gar keinen Fall nutzen? Nein, du musst dich nur fragen, ob die Anwendung für deine Belange hilfreich ist, und den Prozess als etwas betrachten, das du anpassen kannst. Er dient dir als Gerüst und Orientierung.
Design Thinking gehört zwar zu den agilen Arbeitsmethoden, aber die bloße Anwendung macht ein Unternehmen nicht automatisch agil. Trotzdem kann die Verwendung von Design Thinking für Unternehmen, die eine Kultur des Lernens verankern wollen, hilfreich sein. Häufiges Scheitern und neu probieren, wie es eben beim Design Thinking der Fall ist, sollte nämlich als effiziente Methode in einem Innovationsprozess verstanden werden. Das ist für dich als Gründer*in zwar nicht unbedingt relevant, weil du eventuell als Solopreneur und nicht gleich mit einem großen Unternehmen startest, jedoch solltest du dir klarmachen, dass Agilität von deinen zukünftigen Mitarbeiter*innen und von dir als Gründer*in gelebt werden muss.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Design Thinking eine praktische Methode ist, um Innovationen zu entwickeln – vor allem hinsichtlich neuer Produkte. Gerade komplexe und verworrene Fragestellungen benötigen häufig einen zielgerichteten Prozess. Mach dir aber bewusst, dass du mit der Methode auch scheitern kannst und sie dich eventuell nicht zu deinem gewünschten Ergebnis führt. Jedoch entscheiden oft nicht die Methoden, ob etwas gelingt oder nicht. Vielmehr geht es darum, wie du sie einsetzt. Der Design-Thinking-Prozess ist Übungssache und braucht praktische Anwendung.
Wenn du als Gründer*in kreativ an einer Idee arbeiten möchtest, dich aber noch nicht bereit für Design Thinking fühlst oder nicht das notwendige Team für eine Umsetzung hast, können auch erst einmal Brainstorming-Sessions mit Freunden oder anderen Personen, auf deren Meinung du Wert legst, vielversprechend sein.