Gemeinwohl-Ökonomie

Das Wirtschaftsmodell mit Fokus auf Mensch und Umwelt

Was wäre, wenn dein Unternehmen nicht allein auf Wachstum und Profit ausgerichtet wäre, sondern vorrangig soziale, gemeinnützige und Umweltschutzziele verfolgen würde? Genau diese Frage stellen sich Anhänger*innen der Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ). Auch wenn die großflächige Anwendung dieses Wirtschaftsmodells noch eine Utopie ist, gibt es im Kleinen bereits erste Erfolge. Doch wie lassen sich Wirtschaftlichkeit und Gemeinwohlziele sinnvoll zusammenbringen? Welche Punkte beinhaltet das GWÖ-Modell? Wie genau funktioniert es, was wird kritisiert und wie kannst du als Gründer*in das Gemeinwohl mit deinem Business berücksichtigen? Wir beantworten dir die wichtigsten Fragen rund um ethisches Wirtschaften in der Gemeinwohl-Ökonomie.

Definition: Was ist Gemeinwohl-Ökonomie?

Die Gemeinwohl-Ökonomie ist ein Modell und zugleich eine Bewegung, die die Wirtschaft, wie wir sie heute kennen, reformieren soll. Ziel ist es, von einer kapitalistischen, auf Wachstum und Profit ausgerichteten Wirtschaftsweise, zu einem ökonomischen Modell zu kommen, bei dem das Gemeinwohl an erster Stelle steht. Entwickelt wurde das Konzept von verschiedenen Akteur*innen in Bayern, Österreich und Südtirol. 2010 erschien dazu das Buch „Die Gemeinwohl-Ökonomie“ von Christian Felber. Es ist heute die Grundlage der GWÖ-Bewegung, die sich dafür einsetzt, dass Konzept in die Praxis umzusetzen und bekannt zu machen. 

Doch was bedeutet Gemeinwohl eigentlich? Der Begriff lässt sich bis in die Antike zurückverfolgen, als noch Platon und Aristoteles darüber philosophierten. Letzterer beschrieb das Gemeinwohl als Kombination aus Gerechtigkeit und dem Glück aller Bürger*innen. In der Stoa wird es als das Gute für alle Menschen beschrieben. Bis heute haben sich viele unterschiedliche Menschen Gedanken über den Begriff des Gemeinwohls gemacht, der sich auf Gemeinden, Staaten oder die gesamte Menschheit beziehen lässt. 

Vier Säulen der GWÖ

Die Basis der Gemeinwohl-Ökonomie bilden folgende vier Säulen:

  • Menschenwürde
  • Solidarität und Gerechtigkeit
  • Ökologische Nachhaltigkeit
  • Transparenz und Mitentscheidung

In diesen Bereichen sollen GWÖ-Unternehmen besonders gut aufgestellt sein. Dafür verwenden die Anhänger*innen des Modells ein Punktesystem – die Gemeinwohlbilanz. Sie stellt einen Gegenentwurf zu wachstumsorientierten Bewertungssystemen wie dem Bruttosozialprodukt dar. Insgesamt können 1.000 Punkte erreicht werden. Für gemeinwohlschädigendes Verhalten gibt es Minuspunkte. Die Bilanz wird alle zwei Jahre extern auditiert.

Die Messung bezieht sich auf verschiedene Anspruchsgruppen wie Hersteller, Lieferanten, Personal, Kundschaft, Unternehmensführung, Finanzpartner und auch das gesellschaftliche Umfeld. Zudem werden Faktoren wie nachhaltige Herstellungsprozesse, leistbare Preise und faire Entlohnung berücksichtigt. So darf der GWÖ zufolge das höchste Gehalt je nach Branche nur drei- bis fünfzehnmal so hoch sein wie das niedrigste. Zum Vergleich: In unserem aktuellen Wirtschaftssystem kommt es vor, dass der Vorstand 57-mal so viel verdient wie die Person mit dem niedrigsten Lohn.

In der Gemeinwohl-Ökonomie spielen neben der wirtschaftlichen Ebene auch die politische und gesellschaftliche Ebene eine wichtige Rolle. GWÖ-Unternehmen sollen nicht nur an ihrem eigenen wirtschaftlichen Vorteil interessiert sein, sondern auch Verantwortung für Natur, Mensch und Zusammenleben übernehmen. Als Anreiz dafür sieht die GWÖ vor, Unternehmen mit einer hohen Gemeinwohlbilanz zu belohnen – etwa mit Steuervorteilen, günstigen Krediten, speziellen Förderungen oder Bevorzugung bei Einkäufen aus öffentlicher Hand.

Ziele der Gemeinwohl-Ökonomie

Während in der klassischen Wirtschaft Wachstum das Ziel ist, strebt die Gemeinwohl-Ökonomie eine möglichst positive Gemeinwohlbilanz an. Damit die Unternehmen das auch mitmachen, sollen sie für eine hohe Punktzahl Vorteile erhalten. Denn selbst verantwortungsbewusste Unternehmer*innen, die Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit anstreben, müssen wirtschaftlich handeln, um ihr Business zu erhalten, Mitarbeiter*innen zu bezahlen und selbst davon leben zu können. 

Das Hauptinteresse der Gemeinwohl-Ökonomie ist jedoch, die Ausbeutung von Mensch, Tier und Umwelt durch rein profitorientiertes Wirtschaften zu beenden. Wichtiger als das Wachstum sollen Schutz und Erhalt unseres Planeten, der Menschenwürde und eines friedlichen Zusammenlebens auf demokratischer Basis sein. Noch klingt das für viele zu schön, um wahr zu sein. Anhänger*innen der GWÖ-Bewegung sind jedoch davon überzeugt, dass diese Veränderung unseres Wirtschaftssystems notwendig und realisierbar ist. 

Warum die GWÖ für dich als Gründer*in interessant sein könnte

Immer mehr junge Gründer*innen setzen auf Nachhaltigkeit und möchten ihr Unternehmen dementsprechend ausrichten. Auch die Kundschaft trifft ihre Kaufentscheidungen zunehmend mit Blick auf Umweltfreundlichkeit, Fairness und gesellschaftliches Engagement. Wenn du Ecopreneur*in werden oder ein Social Startup gründen möchtest, könnte die Gemeinwohl-Ökonomie für dich ein interessantes Modell sein. Es steht im Einklang mit Konzepten wie Green Economy, Cradle to Cradle, Circular Economy, Social Entrepreneurship oder Nachhaltigkeit im Unternehmen. Sie alle verbindet der Anspruch, nicht nur an den Profit, sondern auch an unsere Umwelt und Gesellschaft zu denken. 

Direkt bei der Gründung mit dem GWÖ-Modell zu arbeiten, ist viel einfacher, als es in ein etabliertes Unternehmen einzubinden. Gerade für Großkonzerne wäre die Umstellung auf Gemeinwohl-Ökonomie mit radikalen Veränderungsprozessen verbunden. Im Kleinen hast du jedoch die Möglichkeit, dich auszuprobieren und von Anfang an gemeinwohlorientierte Strukturen aufzubauen. Die vier Säulen und Ziele der GWÖ bieten dir dabei Orientierung. Du behältst sie im Kopf, wann immer du eine Entscheidung triffst – sei es bei Herstellungsverfahren, Geschäftspartnern, Auswahl und Schulung der Mitarbeitenden, Bezahlung und Finanzierung oder bei der Auswahl und Durchführung von Marketingmaßnahmen.

Der International Federation for the Economy for the Common Good e. V. unterstützt Unternehmen mit Förderungen oder Beratung und zertifiziert Mitglieder sowie Unternehmen, die eine Gemeinwohlbilanz erstellen und prüfen lassen möchten.

Jan, Merrit, Michelle

Hörempfehlung: eco:fibr sagt über sich selbst: “Wir wollen unseren Teil zu einer nachhaltigen Welt beitragen und dabei aktiv Ressourcen schonen. Unsere Entscheidungsfindung im operativen Geschäft ist stark wertebestimmt.” Im Ideencouch Podcast mit Jan sprechen Merit Ulmer & Michelle Spitzer über ihren Weg zur Idee, aus Ananaspflanzen Papier herzustellen. Außerdem geht es um die Herausforderung der wertebasierten Entscheidungsfindung bei der Preiskalkulation. 

Ecogood - Business Model Canvas für deine Gründung nutzen

Bisher wirkt das alles noch sehr theoretisch, du kannst den Gemeinwohl-Ansatz aber ganz praktisch in dein Geschäftsmodell integrieren. Die  Business Modell Canvas hilft dir dabei, dein Geschäftsmodell visuell darzustellen. Mithilfe von Fragestellungen leitet sie dich dazu an, dir Gedanken über die Grundpfeiler deiner Gründung zu machen und dich kurz zu halten. Die GWÖ-Bewegung hat die ursprüngliche Business Modell Canvas von Alex Osterwalder, der es weltweit bekannt machte, ausgeweitet. So kannst du sozial-ökologischen Impact deiner Unternehmung  bereits bei der Gründung mitdenken. Außerdem empfehlen wir, die Business Model Canvas alle paar Jahre einmal zu überarbeiten, da sich die Welt im stetigen Wandel befindet. 

Tipp: Wenn du nicht mit Zettel und Stift arbeiten möchtest, dann kannst du auch ganz  digital mit unserem Geschäftsmodell-Tool arbeiten. 

Kritik an der Gemeinwohl-Ökonomie

Wie du dir sicher denken kannst, gibt es nicht nur positive Meinungen zum Thema Gemeinwohl-Ökonomie. Obwohl sich 2015 schon 86 Prozent des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses dafür aussprachen, die GWÖ in den Rechtsrahmen der EU zu integrieren, kritisieren Ökonomen und Wirtschaftskammern das Modell zum Teil stark. Zu den Vorwürfen gehört zum Beispiel, dass die Gemeinwohl-Ökonomie Eigentums- und Freiheitsrechte einschränke. Zudem könne das Modell nur funktionieren, wenn es sich weltweit durchsetzen ließe. Wettbewerb und Konkurrenz, somit also die bisherige Marktwirtschaft, würden abgeschafft. Die Preise müssten stark angehoben werden, die GWÖ sei außerdem zu bürokratisch und ineffektiv. Kritiker*innen befürchten zudem, dass der Wohlstand durch die Gemeinwohl-Ökonomie eingeschränkt und die Bevölkerung ärmer werden könnte. Insgesamt wird der GWÖ entgegengesetzt, sie sei unrealistisch, ideologisch geprägt und nicht zu Ende gedacht.

Was heißt das jetzt für dich als Gründer*in? Wie sich die Gemeinwohl-Ökonomie weiterentwickelt und ob sie sich durchsetzt, bleibt abzuwarten. Dennoch kannst du dich von dem Konzept inspirieren lassen und Aspekte, die dir relevant erscheinen, in dein Geschäftsmodell übernehmen. Am besten schaust du dir die verschiedenen Meinungen zum GWÖ-Modell einmal in Ruhe an und ziehst deine eigenen Schlüsse daraus. Immerhin gibt es einige Unternehmen, die die Idee einer Gemeinwohl-Ökonomie bereits leben.

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Beispiele gelungener Gemeinwohl-Ökonomie

Zahlreiche Unternehmen haben schon damit begonnen, GWÖ-Standards in ihre Strukturen einzubinden. Über 400 sind bereits zertifiziert und geben eine Gemeinwohlbilanz heraus. Selbstständige sowie kleine und mittlere Unternehmen verschiedener Branchen gehören dazu. Einige Beispiele stellen wir dir hier vor:

  • Taifun Tofu: Der Hersteller vielseitiger Fleischalternativen auf Sojabasis legt großen Wert auf nachhaltigen und regionalen Anbau sowie faire Zusammenarbeit. Der zertifizierte Bio-Tofu ist in zahlreichen Märkten erhältlich. Mit einer positiven Gemeinwohlbilanz richtet sich das Unternehmen engagiert nach den GWÖ-Vorgaben.
  • VAUDE: Die Outdoor-Kleidungsmarke bietet besonders umweltfreundliche Produkte an. Die Materialien bestehen teilweise aus recycelten PET-Flaschen oder es wird gänzlich auf Plastik verzichtet. Das Unternehmen legt großen Wert auf Nachhaltigkeit und faire Arbeitsbedingungen entlang der gesamten Lieferkette.
  • BODAN Großhandel für Naturkost: Der Lebensmittelgroßhandel verkauft ein vielfältiges Sortiment an Naturkost- und Bioeinzelhändler. Alle Produkte sind biozertifiziert. Zudem unterstützt das Unternehmen regionale ökologische Landbauinitiativen.
  • Ökofrost: Diese Firma stellt nachhaltige und biozertifizierte Tiefkühlprodukte her. Sie punktet bei der Gemeinwohlbilanz hauptsächlich in den Bereichen gerechte Einkommensverteilung, Nachhaltigkeit und Transparenz.
  • Sparda Bank München: Das wohl größte GWÖ-zertifizierte Unternehmen und zugleich die erste Bank, die das Modell übernommen hat, fokussiert sich auf nachhaltiges Investieren sowie Gleichbehandlung des Personals. 

Du siehst: Es ist möglich, Ideen und Standards der Gemeinwohl-Ökonomie in dein Business einzubeziehen und gleichzeitig wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Unternehmen verschiedenster Branchen, Größen und Rechtsformen machen es vor! Falls du jetzt auch loslegen möchtest, schau doch mal in den Leitfaden für Unternehmen der Stiftung Gemeinwohlökonomie Nordrhein-Westfalen rein. Dort findest du viele spannende Infos! 

Fazit

Die Gemeinwohl-Ökonomie ist eine Vision, die eine nachhaltigere, gerechtere und ethische Wirtschaft ermöglichen soll. Mit den vier Säulen der GWÖ und der Gemeinwohlbilanz legen Mitbegründer*innen dieses Konzepts den Grundstein einer Bewegung, die sich für einen Systemwandel einsetzt. Klimawandel, Globalisierung und soziale Probleme zeigen aktuell die Grenzen eines auf Wachstum ausgerichteten Wirtschaftens auf. Die Möglichkeiten und Ressourcen unseres Planeten und seiner Bewohner*innen sind endlich. Daraus ergibt sich der Bedarf eines neuen Modells. Ob sich die Gemeinwohl-Ökonomie etablieren wird, ist noch ungewiss. Im Kleinen kannst du die Idee jedoch schon heute umsetzen. Schließlich zeigt sich oft erst in der Praxis, ob ein Konzept funktioniert und wie es sich verbessern lässt. Wenn du ein nachhaltiges, sozial gerechtes und verantwortungsbewusstes Unternehmen gründen möchtest, lohnt es sich auf jeden Fall, GWÖ und ähnliche Modelle einmal näher anzuschauen. Vielleicht ergibt sich daraus ja eine vielversprechende Geschäftsidee für dein Business!

Die Gemeinwohl-Ökonomie ist eine Vision, die eine nachhaltigere, gerechtere und ethische Wirtschaft ermöglichen soll. Auch Dr. Joachim Soergel hat eine Vision, und zwar die der Produktivgesellschaft. Dahinter verbirgt sich nichts weniger als die Idee, dem Kapitalismus ein überfälliges Update zu verpassen. Denn laut ihm gibt es derzeit zu wenig Kapitalist*innen. Er möchte ein Umfeld schaffen, in dem Kreative, schlaue Köpfe, Menschen mit Träumen ihre Pläne unternehmerisch und gleichzeitig gemeinwohlfördernd umsetzen. Wie genau er das erreichen will und was 250.000€ damit zu tun haben, das erzählt er im Podcast. 

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bhp