Psychologe und Coach Jens Corssen erklärt im Gespräch mit Jan Evers, warum gehobene Gestimmtheit (statt reiner „guter Laune“) die Basis für Kreativität, Veränderung und Gründungserfolg ist, und wie wir unseren inneren „Quatschi“ freundlich führen, statt uns führen zu lassen. Eine Unterhaltung über Loslassen, Change und die Entscheidung, für das Leben zu sein.
Haltung statt Optimierung
Jan Evers: Jens, schön, dass du da bist! Ich erinnere mich noch gut, wie ich dich das erste Mal bei einem Workshop kennengelernt habe. Du hast mir damals deine CD Der Selbstentwickler zugeschickt – die habe ich sicher fünfmal gehört. Sie hat tatsächlich mein Leben verändert. Für alle, die dich noch nicht kennen: Wer bist du, und wie bist du zu dem geworden, was du heute machst?
Jens Corssen: Ich bin in Berlin geboren, in Norddeutschland aufgewachsen und habe Psychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München studiert. Schon früh habe ich gemerkt, dass ich eher lösungsorientiert denke. Ich habe mit einem Kollegen eine verhaltenstherapeutische Praxis gegründet – das war damals fast revolutionär. Während sich viele Therapeuten in der Vergangenheit verfangen haben, wollte ich wissen: Wo willst du hin? und Warum bist du noch nicht da?
Heute weiß ich: Verhalten allein zu verändern reicht nicht. Wenn du deine Haltung nicht änderst, hält kein Verhalten lange. Deshalb beschäftige ich mich seit vielen Jahren mit der Frage: Aus welcher Gestimmtheit heraus gehst du durchs Leben?
Jan Evers: Das unterscheidet dich ja stark vom gängigen Selbstoptimierungs-Trend. Warum ist der „Selbstentwickler“ kein „Selbstoptimierer“?
Jens Corssen: Der Selbstoptimierer orientiert sich an äußeren Maßstäben – an dem, was gerade als erfolgreich oder effizient gilt. Der Selbstentwickler dagegen fragt sich: Was ist für mich wesentlich? Er will wachsen, nicht glänzen. Es geht um Selbstführung, nicht um Selbstverbesserung. Wer sich entscheidet, am Leben zu wachsen, wird zum Selbstentwickler.
Gute Gestimmtheit statt guter Laune
Jan Evers: Du unterscheidest zwischen „guter Laune“ und „gehobener Gestimmtheit“. Was genau meinst du damit?
Jens Corssen: Gute Laune ist oberflächlich, sie hängt von äußeren Umständen ab. Gehobene Gestimmtheit ist eine Haltung dem Leben gegenüber. Ich sage: Ich bin für das Leben. Auch für den Stau, für den Regen, für den Mitarbeiter, der mich nervt. Wer gegen das Leben ist, also im Widerstand, verbraucht unglaublich viel Energie.
Der Selbstentwickler sagt: „Danke, Situation – du bist mein Coach.“ Diese Haltung sorgt im Gehirn für Kohärenz, also für Ruhe und Kreativität. Der Verstimmte dagegen ist im Überlebensmodus, ständig im Kampf gegen etwas. Das Gehirn liebt das Gewohnte, es will Sicherheit. Aber Entwicklung entsteht nur, wenn ich den Überlebensmodus verlasse.
Jan Evers: Du sagst also: Erst wenn wir uns für das Leben entscheiden, sind wir wirklich kreativ?
Jens Corssen: Genau. Der Verstimmte wagt nichts Neues. Nur wer in gehobener Gestimmtheit ist, kann experimentieren, Fehler machen, lernen. Das gilt privat wie im Beruf. Darum sage ich oft: Ein*e Unternehmer*in ist weniger Chief Executive Officer, sondern Chief Emotional Officer. Seine wichtigste Aufgabe ist, für eine gute, gehobene Stimmung zu sorgen – bei sich selbst und im Team.
Jan Evers: Das erinnert mich an Familie. Auch da funktioniert es nicht, wenn man miese Laune verbreitet und dann erwartet, dass sich alle ändern.
Jens Corssen: Ganz genau. Ob Familie oder Unternehmen: Führung beginnt mit Selbstführung. Wenn ich in mir Ruhe finde, kann ich andere inspirieren. Das ist das, was man heute „Mindset“ nennt – aber im Kern ist es Haltung.
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Vom Quatschi und der Macht der Gedanken
Jan Evers: Du hast dem inneren Kritiker einen Namen gegeben: Quatschi. Ich fand das unglaublich befreiend, als ich das zum ersten Mal gehört habe. Was steckt dahinter?
Jens Corssen: Der Quatschi ist die innere Stimme, die uns ständig fertig macht: „Das schaffst du nicht“, „Du bist zu alt“, „Das wird sowieso nichts“. Der Trick ist: nicht gegen Quatschi kämpfen, sondern ihn mit Humor nehmen. Sag: Grüß dich, Quatschi, danke für deinen Beitrag. Ich mach’s trotzdem.
Wenn du deine negativen Gedanken mit Humor betrachtest, verlieren sie ihre Macht. Du gehst auf die Metaebene. Solange du dich mit Quatschi identifizierst, bestimmt er dein Verhalten. Aber wenn du ihn von außen beobachtest, gewinnst du Freiheit.
Jan Evers: Du hast mal gesagt, vielleicht ist KI eine neue Form von Quatschi – nur von außen.
Jens Corssen: (lacht) Ja, der Gedanke kam mir neulich. Wenn wir der KI blind folgen, verlieren wir unsere Eigenständigkeit. Dann sagen wir nicht mehr: Was will ich eigentlich? Wir fragen nur noch: Was sagt ChatGPT? Die Gefahr ist ähnlich: Wir geben Verantwortung ab. Deshalb ist es so wichtig, die eigene Einzigartigkeit zu verteidigen – unseren „USP“ als Mensch.
Dankbarkeit, Loslassen und Change
Jan Evers: Bei der Gründerplattform begleiten wir viele Menschen, die sich verändern wollen und ein neues Unternehmen gründen möchten. Warum fällt uns Veränderung so schwer?
Jens Corssen: Weil das Gehirn im Überlebensmodus ist. Es wiederholt lieber, was funktioniert hat, selbst wenn es uns nicht mehr dient. Der wichtigste Satz für Change ist: Schmerz – sofort! Das heißt, ich stelle mich dem Unangenehmen gleich, anstatt es zu vermeiden. Denn die Lösungen von gestern sind die Probleme von heute.
Viele Unternehmer*innen scheitern, weil sie ihre Idee zu sehr lieben. Sie wollen sie nicht loslassen. Doch wer aus der Fülle lebt – also dankbar ist für das, was er hat – kann leichter loslassen. Dankbarkeit ist der Gegenspieler von Angst. Wenn ich abends drei Dinge notiere, für die ich dankbar bin, trainiere ich mein Gehirn auf Fülle statt auf Mangel.
Jan Evers: Wie kann man das Loslassen trainieren?
Jens Corssen: Indem man im Alltag immer wieder kleine Dinge anders macht. Setz dich im Café mal auf einen anderen Platz. Fahr eine andere Route zur Arbeit. Iss etwas, was du sonst nie essen würdest. Das Gehirn lernt: Ich überlebe Veränderung. Dann fällt es dir auch im großen Stil leichter – wenn etwa das Geschäftsmodell nicht mehr trägt oder du umziehen musst.
Jan Evers: Also Change-Training in kleinen Dosen?
Jens Corssen: Genau. Und wenn die Krise kommt, ist man vorbereitet. Unternehmer*innen, die das Leben bejahen, haben mehr Werkzeuge im Kasten. Sie reagieren nicht nur, sie gestalten.
Geborgen in der Ungewissheit
Jan Evers: Viele Gründerinnen und Gründer erleben gerade eine Zeit großer Unsicherheit – durch KI, durch wirtschaftliche Veränderungen. Du hast einen Satz von Picasso zitiert: „Sich geborgen fühlen in der Ungewissheit.“ Wie kann das gelingen?
Jens Corssen: Das ist der Kern meiner Philosophie. Sicherheit ist eine Illusion. Wer Sicherheit will, wird unruhig, sobald sich etwas ändert. Wer sich aber in der Ungewissheit geborgen fühlt, bleibt lebendig. Ich mache mit meiner Frau manchmal spontane Reisen ohne Plan. Sie ist dann skeptisch – und am Ende erleben wir das Schönste.
Ungewissheit hält uns wach, neugierig, jung – und ja, auch erotisch. (lacht) Wer das Leben liebt, strahlt. Deshalb sage ich: Entscheide dich, für das Leben zu sein. Nicht: Ich akzeptiere es irgendwie, sondern: Ich liebe es, dass es sich ständig wandelt.
Jan Evers: Das passt wunderbar zu Gründerinnen und Gründern. Wer gründet, weiß nie genau, was morgen kommt – aber genau das ist ja auch der Reiz.
Jens Corssen: Absolut. Unternehmertum ist gelebte Ungewissheit. Wer darin Geborgenheit findet, bleibt mutig, kreativ – und menschlich.
Schlussgedanke
Jan Evers: Jens, was wäre dein wichtigster Rat an Menschen, die gerade überlegen zu gründen oder die sich in einer schwierigen Phase befinden?
Jens Corssen: Entscheide dich heute, nicht mehr zu klagen – weder über das Leben, noch über andere, noch über dich selbst. Beobachte dich: Wie oft bist du im Widerstand? Wie oft sagst du „Das darf doch nicht wahr sein“? Wenn du es schaffst, ein halbes Jahr lang täglich weniger zu klagen, verspreche ich dir: Du kommst in gehobene Gestimmtheit.
Und aus dieser Haltung heraus wirst du kreativer, mutiger und erfolgreicher – ob als Gründer*in, Unternehmer*in oder einfach als Mensch.
Jan Evers: Wunderschön. Vielen Dank für das Gespräch – und für all die Anstöße, die du uns gegeben hast!
Hörtipp
Das ganze Gespräch mit Jens Corssen kannst du dir im Ideencouch-Podcast anhören.